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23.08.2023 Humangenetik

Nierenkrankheit genetisch entschlüsselt

Kooperation mit Max Delbrück Center und Berlin Institute of Health

Priv.-Doz. Dr. Bodo Beck, Foto: Michael Wodak
Priv.-Doz. Dr. Bodo Beck, Foto: Michael Wodak

Bartter-Syndrom Typ 3 geht auf mehrere Strukturvarianten im Genom zurück. Mithilfe der „Long-read-Sequenzierung“ konnte Janine Altmüller und ihr Team vom Max Delbrück Center, BIH und der Uniklinik Köln die seltene Krankheit genauer analysieren. Die Ergebnisse stellen sie in „Genome Medicine“ vor.

Als die drei Kinder einer aus Syrien geflohenen Familie zum ersten Mal in der Sprechstunde von Priv.-Doz. Dr. Bodo Beck an der Uniklinik in Köln saßen, war der Humangenetiker überrascht: Das Ergebnis seiner Genanalyse diagnostizierte ein Bartter-Syndrom Typ 3. Doch noch nie zuvor hatte er bei Patienten mit dieser seltenen Erkrankung so schwere Gelenkveränderungen gesehen. Die Nierenkrankheit ist erblich – den Betroffenen fehlt das Gen CLCNKB, das für einen bestimmten Chloridkanal verantwortlich ist. Der Elektrolyt-Haushalt gerät aus dem Gleichgewicht, weil die Nieren wichtige Nährstoffe und Salze vom Urin während des Filterprozesses nicht zurück ins Blut aufnehmen können.

Neben dem Fehlen des CLCNKB-Gens vermutete Dr. Beck möglicherweise ausgedehntere Deletionen, also Bereiche, die komplett aus dem Genom gelöscht wurden und, die das schwere Krankheitsbild erklären würden. Um sich die krankmachenden Gene genauer anzuschauen, kontaktierte er Dr. Janine Altmüller, Leiterin der Genomik-Plattform des Max Delbrück Center und des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Ihr Team, das am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) angesiedelt ist, arbeitet mit modernsten Sequenzierungsmethoden wie zum Beispiel „Long-read-Sequenzierungen“. Mit dieser Technologie analysierten sie nun Bereiche im Genom von Patientinnen und Patienten, die zuvor im Dunkeln lagen. Die Ergebnisse haben sie im Journal „Genome Medicine“ veröffentlicht.

Herkömmliche „Short-read-Sequenzierungen“ erfassen DNA-Abschnitte in vielen kurzen Stücken, die anschließend wieder zusammengefügt werden müssen. Bei komplexen Genom-Strukturen stoßen diese in der Klinik üblichen Verfahren jedoch an ihre Grenzen – zum Beispiel, wenn sich Sequenzen mehrfach innerhalb eines genetischen Abschnitts wiederholen wie es beim Bartter-Syndrom Typ 3 der Fall ist. Auch deshalb hatte niemand bislang die Feinstruktur der betroffenen Gene untersucht.

Die „Long-read-Sequenzierung“ kann dagegen in einem einzigen Durchgang viel längere Abschnitte der DNA lesen, etwa in der Größenordnung von Tausenden oder sogar Zehntausenden von Basenpaaren. Das riesige Puzzle mit den komplexen, sich wiederholenden Mustern hat somit größere Einzelteile und lässt sich leichter richtig zusammenfügen. Das Journal „Nature Methods“ machte sie deshalb zur Methode des Jahres 2022.

Dr. Altmüllers Team ist dank der Technik nun bei insgesamt 32 Patientinnen und Patienten aus Nierenzentren in Köln, Marburg, Münster und London auf verschiedene genetische Varianten gestoßen, die CLCNKB und das benachbarte Gen CLCNKA betreffen und bislang unbekannt waren: „Bei einer der Strukturvarianten die wir gefunden haben, befindet sich ein kleiner Abschnitt des einen Gens in einer ähnlichen Position im benachbarten Gen“, sagt Dr. Altmüller. Dieses genetische Muster hat zunächst keine Auswirkungen auf die Niere und kam bei fast der Hälfte der gesunden Personen in der Studie vor. Bei den untersuchten Patienten war es aber nahezu immer vertreten.

Die Forschenden vermuten, dass dieses Muster im Genom die Entstehung krankmachender Genvarianten begünstigt. „Die Strukturveränderung ist faszinierend, weil sie evolutionär gesehen ein Mutationshotspot ist“, sagt Dr. Altmüller. „Das Muster erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Strukturvarianten im Laufe der menschlichen Evolution auftreten konnten.“ Tatsächlich fand das Team bei den Betroffenen acht verschiedene Deletionen in CLCNKB. Die seltene Nierenerkrankung gehe demnach nicht immer auf dieselben Strukturvarianten zurück, sondern es handele sich um unabhängige Ereignisse mit demselben genetischen Hintergrund, sagt Dr. Altmüller.

Bei der syrischen Familie entdeckten die Forschenden keine zusätzlichen Deletionen von Gensequenzen. Es blieb also bei der alleinigen Diagnose Bartter-Syndrom Typ 3. „In unserem Gesundheitssystem sehen wir solch ungewöhnlich schwere Krankheitsverläufe nur selten, weil Nierenschwäche meist deutlich früher erkannt und Spätfolgen, beispielsweise an den Gelenken, in der Regel verhindert werden können“, erklärt Dr. Beck.

Die Ergebnisse helfen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Ursachen der Krankheit besser zu verstehen. Sie können in Zukunft dazu beitragen, bessere Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Den ersten Schritt, die Technik in die Kliniken zu bringen, ist Altmüller bereits gegangen: „Demnächst startet eine Pilotstudie mit Partnern aus Berlin, Hannover, Tübingen und Aachen, in der wir Long-read-Sequenzierungen bei einer größeren Patienten-Kohorte mit ungelösten seltenen genetischen Erkrankungen anwenden wollen.“